... one has to fence the bullshit!

16. Mai 2008:
Gedanken zu Anstand, eBay, Orthographie und Etymologie



Schaut man sich die Auktionen im deutschen eBay an, so wird einem bewußt, welches Chaos die "Rechtschreibreform" mittlerweile angerichtet hat. Dieser Erklärungsansatz erscheint mir jedenfalls der einzig denkbare denn sonst müßte man den äußerst unwahrscheinlichen Fall annehmen, daß ein überproportional großer Anteil von Legasthenikern und Hilfsschülern in die Reihen der Bogenschützen vorgedrungen ist. Es ist wirklich erschreckend aber scheinbar niemandem mehr peinlich!?

Mein alter Latein-Lehrer hat immer gesagt: "Dem Zerfall des Römischen Reiches ging der Verfall von Sprache, Sitte und Kultur voraus ..."
Nun, es ist ganz offensichtlich, daß wir diesen Punkt selbst längst erreicht haben! Denn neben der Vergewaltigung der Sprache scheint kaum noch einer etwas dabei zu empfinden, wenn er das blaue vom Himmel herunterlügt, in dem Versuch einen anderen zu Übervorteilen und reinsten Schrott und Abfall als neuwertiges Hochleistungsprodukt anzupreisen. Neulinge, gutgläubige und vertrauensselige Menschen werden schlicht und einfach über den Tisch gezogen und dabei hemmungslos ausgebeutet. Im großen Stil wird beschissen! Es war noch nie so schlimm wie derzeit und ich kann nur sagen, ich finde es zum Kotzen!
Ich habe versucht mich mit dem Gedanken zu trösten, daß manches von dem was geboten wird möglicherweise nur der Dummheit bestimmter Personen anzulasten ist, nach dem Motto: "Denn sie wissen nicht was sie tun ..." Aber das ist wohl gar zu menschenfreundlich gedacht?! Nur, wenn das die traurige Wirklichkeit ist, dann möchte ich nichts davon geschenkt! Da bin und bleibe ich liebend gern ein arroganter und überheblicher Besserwisser, der sein eigenes Süppchen kocht!

Ein paar jüngste Fallbeispiele gefällig?

Da gibt es in ein und der selben Auktion einen Costom und Custum Bogen zu kaufen – sogar mit Flemisch Spleiss und Pfeilen mit passendem Spin! Aaaarrgh! Also bitte, entweder dt.: fläm. Spleiß, oder engl.: flem. splice! Und es heißt spine! Einen Spin bekommt mein Hirn beim Lesen solchen Unsinns! Offensichtlich nicht das geringste Verständnis der Materie aber großmächtig einen Custom LB nach eigenen Vorgaben geordert, was?! Ein Fall von: Er weiß es nicht besser?! Hoffentlich!

Groß und Kleinschreibung werden überall bunt durcheinander gewürfelt, meist ohne erkennbares System und häufig genau entgegengesetzt des ursprünglichen Sinns. Wozu? Weiß keiner ...

Die "suicide strings" sind auch wieder im Kommen!? Oder wie erklärt sich das jüngste Angebot dieser Unmöglichkeit im Zusammenhang mit einem Bear Grizzly von 1971?
Wie der Verkäufer mir auf meine Nachfrage hin versicherte macht er sie selbst und Zitat: Bögen dieser Pfundzahl und aus diesen baujahren sind so gut wie nicht mehr vorhanden. Das liegt an den verwendeten Klebern dieser Zeit. Echt?! Ist das so?! Muß man vielleicht mal weitersagen ...?!
Vorhandene Stresslinien hat er selbst erst irgenwann als solche erkannt, konnte sie aber leider nicht fotographieren wegen der, Zitat: reflecktionen. Doch alles nicht schlimm, schließlich hat er den Bogen ja selbst "fachgerecht restauriert". Hoffen wir, daß er besser Mopped fährt!

Sylvester Stallone alias John Rambo hat offensichtlich große Teile seiner Ausrüstung einem dt. Fan vermacht, der sich aber nun aus aktuellem Anlaß davon trennt und dessen Auktionsbeschreibungen wir darum ertragen müssen. Da – und sicher nur da – gibt es z.B. rasiermesserscharfe "Jagdspitzen mit Knochenschneider" für Bogen bis 80lbs. Bis 80 Pfund?! Tatsächlich?! Schade! Dann kann man die ja gar nicht mit einem 90# LB schießen? Da kann man wohl nichts machen?! Tja, vermutlich weiß er es nicht besser?!

Die Auktionsbeschreibung eines Holzbogen aus Rotulme ist mit ein Grund dafür, daß ich hier sitzte und diese Seite schreibe, die vermutlich eh keiner lesen wird ...
Englisch und Deutsch gehen dort wild durcheinander ohne Sinn zu ergeben, Groß- und Kleinschreibung sowieso. Aber der Clou, die Wurfarme sind aus Red Elm gebeizt – hat man davon schon einmal gehört?! Sägen, Feilen, Schleifen, Fräsen, Schnitzen und meinetwegen Errodieren, aber einen Wurfarm aus dem Holz beizen – einfach genial!


Begriffsbestimmungen und Etymologie

Einer überregional bekannten Bogenzeitschrift darf man an der heutigen Misere wohl eine Mitschuld nicht absprechen, hat sie sich doch dem Mainstream ergeben und dem Gebrauch von Misnomeren angeschlossen, wenn nicht gar gefördert, anstatt sich hier wehement zu widersetzen. Die Abonenten bringen halt das Geld, selbst wenn man es vielleicht besser wußte?!
Ich bekomme das Blatt lange schon nicht mehr und kann zur momentanen Lage darum keinen Kommentar abgeben, aber ich kann mich immerhin an Leserbriefe bedachter Personen erinnern, die auf solche Dinge hinwiesen. Folgen hatte es damals leider keine.

Die Übersetzung von Fachbegriffen aus einer Sprache in eine andere ist grundsätzlich abzulehnen, falls es darin kein Wort mit gleichmeinender Bedeutung gibt. Als "Fachbegriff" hat es sich dann nämlich sofort ausgedient, da in der ursprünglichen Sprache nicht mehr verständlich. Geht es vermeintlich nicht ohne dies, so müssen Definitionen und Wortneuschöpfungen wohlüberlegt gemacht und manchmal eben auch zurückgezogen werden wenn sich herausstellt, daß sie unnötig waren oder tatsächlich schon ältere Begriffe existieren. Letzteres geschieht leider nur äußerst selten.


Mit einigem Widerwillen habe ich mich quasi mitschuldig gemacht, als ich einen Teil der Traditional Bowyers Bible Vol.III übesetzte. Der Verlag hat natürlich auf Konsistenz innerhalb der Reihe bestanden und meiner Meinung nach überflüssige, ja abträgliche Begriffe waren so von Anfang an vorgegeben. Wie gesagt, widerwillig hab ich das akzeptieren müssen. Genauso überflüssig, wenn auch in sprachlicher Hinsicht nicht problematisch, ist etwa die Umrechnung einer jeden Zoll-Angabe des Originals in Zentimeter. Traditionell wird hier eben in engl. Maßen gerechnet an die man sich gewöhnt und noch keiner hatte je Probleme mit seinem 68" Bogen oder seiner 5" Befiederung – was soll sowas also?! Bei freier Hand meinerseits sähe das Ergebnis etwas anders aus.

Heute sind es vermutlich eher die großen Internet-Foren die bestimmen, in welche Richtung sich unsere Sprache in diesem Feld entwickelt. Das führt meines Erachtens noch zu einer Verschärfung der Problematik, da hier gar nicht mehr gefiltert wird und jeder ungehemmt seinen geistigen Müll abladen kann. Es ist heute nicht mehr nötig sich in einem langen Prozeß die notwendige Bildung anzueignen und in eine gewisse gehobene Stellung (geistig wie fachlich) hochzuarbeiten, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Bei dem zu beobachtenden Mangel an Anstand und Zurückhaltung kann man dazu nur sagen: Leider hat heute fast jeder diese Möglichkeit ...!

Obwohl es Hunderte von "berufenen" gibt fehlt es heute an Männern* die wirklich dieses Fach in seiner Breite, Geschichte und Diversität beherrschen und von denen andere lernen könnten – und zwar "richtig herum". Damit meine ich, in der korrekten chronologischen Reihenfolge. Denn erst wenn man der Geschicht in ihrem Lauf folgt wird einem klar, was für ein Blödsinn heute allenthalben vorhanden ist. Wie soll der Anfänger sich zurechtfinden und das richtige lernen, wenn sich viel zu viele dazu berufen fühlen anderen etwas beizubringen, von dem sie selbst nichts verstehen? Kaum einer ist in der Lage zu verifizieren was ihm da von "berufener Seite" als "anerkannte Lehrmeinung" dargeboten wird. Fehlinformationen werden dabei so lange weitergegeben und wiederholt, daß sie schließlich den Charakter der "alleinigen Wahrheit" bekommen, gegen die man nicht einmal mehr mit begründeten Argumenten und Belegen ankommt. Unten ein paar Beispiele aus grob dieser Richtung:


* Ganz allgemein gesprochen fehlt Frauen der tiefgreifende Bezug zum Bogen, der über Jahrtausende eine Domäne der Männer war, von der Jagd ganz zu schweigen. Aber sie scheiden hier aus rein köperlichen Gründen aus, da sie keine schweren Bogen schießen können und ihnen jegliche Erfahrung dazu immer fehlen wird. Politisch korrekt will ich gern zugeben, daß (vermutlich häßliche) Ausnahmen möglich sind.

Bogen, pl.: Bogen
Es mag angehen, daß man Bögen statt Bogen schreiben kann, doch benutzt man besser den gleichlautenden Plural, um sich gegenüber Bögen klar abzugrenzen, als da z.B. wären: romanische (Rund-) Bögen in irgendwelchen Arkaden oder (Papier-) Bögen zum Drucken und Zeichnen. Im übrigen heißt der Plural von Armbrust ja auch Armbruste und nicht Armbrüste – auch wenn sich das vielleicht besonder lecker anhört.

Bogner
Heute allgemein als Synonym für Bogenschütze verwandt. Entsetzlich! Ein Bogner (engl.: bowyer) ist jemand, der Bogen herstellt. Ein Bogenschütze (engl.: archer) ist ein Bogenschütze – kürzer geht es nicht und wir sollten uns darüber freuen, daß unsere Sprache zwei Begriffe und Bedeutungen kennt und nicht im Versuch besonders modern zu sein, die Bedeutung verfälschen und dabei einen Ausdruck über die Klinge springen zu lassen ...

Jagdrecurve – was ist das?!
Ich erinnere mich an Zeiten, wo das keine Frage war! Es gab Recurve-Bogen und alle wußte was das bedeutet. Heute scheinen nur noch Jagdrecurves zu existieren – egal wie die aussehen und welches Zuggewicht sie etwa vorweisen können. Selbst 72" FITA-Bogen mit 28# werden mitunter als "Jagdrecurve" angepriesen, denn das scheint ja der gebräuchliche Terminus dafür zu sein. Sie wissen es nicht besser?!
Ein Jagdrecurve baut relativ kurz (meist < 62") und weist ein vernünftiges, d.h., sich für die Jagd eignendes Zuggewicht von min. 45-50# auf. Alles andere ist und bleibt schlicht und einfach ein Recurvebogen. Die Vermischung der begrifflichen Terminologie mit zeitgenössischen Turnierklasseneinteilungen ist ein Übel ersten Ranges. Ein VW-Käfer wird auch kein Rennwagen nur weil man ihn Ferrari-rot anstreicht – aber genau so wird hier vorgegangen!

Reiterbogen
Vertreter dieser Klasse moderner Bogen begegnen einem heute überall. Sie sind den statischen Recurves zuzurechnen und haben keine Entsprechung aus Zeiten vor der Einführung des Fibreglass. Optisch und stilistisch an Horn-Composits des Orients angelehnt, erfreuen sie sich unglaublicher Beliebtheit besonders beim weiblichen Geschlecht (Pferde → Frauen). Konstruktiv vereinen sie gleich mehrere Nachteile auf sich, werden aber trotzdem angepriesen und mit Superlativen überhäuft, wie die neusten technischen Errungenschaften aus der Compound-Szene, ohne die man angeblich nicht leben kann. Hoffentlich eine reine Modeerscheinung, die bald verschwindet.

Anmerkung:
Dieser Text ist wie eigentlich alles auf diesen Seiten in reiner Handarbeit und ohne Zuhilfenahme einer Rechtschreibkorrektur entstanden – wie sie aber jeder Flachpfeife die einen Computer besitzt, prinzipiell zur Verfügung stünde! Dann braucht es nur noch die Selbsterkenntnis, daß man es auch nötig hat ...

Nachtrag, 30.06.2008:
Ich habe mir eben diese Zeilen noch einmal durchgelesen und muß sagen, daß ich nicht ein Wort davon zurückzunehmen wünsche! Wirklich erfreut war ich zwischenzeitlich auch über Zuschriften in denen mir Absender versicherten, daß sie die Dinge genau so sehen würden! Ich schließen daraus, daß meine Kritik wohl durchaus am Platz ist ...